Recruiting-Trends

Das Bewerbungsfoto im Wandel – noch zeitgemäß oder eher kritisch?

Kann, soll, muss man ein Foto seiner Bewerbung hinzufügen?

Ein Foto bei einer Bewerbung ist zwar laut Allgemeinem Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ein freiwilliger Zusatz, jedoch legen die meisten Unternehmen trotzdem Wert auf ein Bild des Kandidaten. Personaler erhoffen sich von einem Foto einen vollständigen ersten Eindruck. Wie ist die gängige Praxis, gibt es Alternativen, was ist zu beachten für Bewerber und Personaler?

Rechtlich klar geregelt

Seit der Einführung des Antidiskriminierungsgesetzes (AGG) im Jahr 2006 ist ein Bewerbungsfoto nicht mehr Pflichtbestandteil einer Bewerbung. In diesem Gesetz ist geregelt, dass niemand aufgrund bestimmter Aspekte benachteiligt werden darf, darunter Geschlecht, Alter, ethnische Herkunft, Religion oder Weltanschauung, Behinderung und sexuelle Identität.

Insbesondere im § 6 des AGG wird explizit auf die Situation in der Berufswelt eingegangen. Vor der Einführung dieses Gesetzes durften Arbeitgeber tatsächlich solche persönlichen Informationen bei Bewerbungen verlangen, um sich ein umfassendes Bild des Bewerbers zu machen und diesen allein aufgrund dieser Angaben ablehnen. Die Ablehnung aufgrund des beigefügten Fotos oder der darin zu erkennenden Merkmale war erlaubt.

Das Diskriminierungsverbot des AGG hat diese Praxis beendet. Daraus folgt, dass aus juristischer Sicht eine Bewerbung ohne Foto ebenso berücksichtigt werden muss wie eine Bewerbung mit Foto. Streng genommen dürfen zukünftige Arbeitgeber Alter oder Geschlecht des Bewerbers nicht erfragen bzw. in der Entscheidung berücksichtigen.

Foto oder nicht, diese Frage kann nur unter Berücksichtigung von Pro und Contra für jedes Unternehmen bzw. für jede Position individuell entschieden werden.

Pro-Argumente für ein Foto in der Bewerbung

Persönlichkeit und Professionalität vermitteln
Das Hinzufügen eines Fotos zur Bewerbung bietet Bewerbern die Möglichkeit, Persönlichkeit und Professionalität zu vermitteln. Ein ansprechendes Bild kann dazu beitragen, einen positiven ersten Eindruck zu hinterlassen und dem potenziellen Arbeitgeber einen Einblick in die Person hinter den Qualifikationen zu geben. Durch ein Foto kann der Bewerber Aspekte wie Ausstrahlung, Selbstbewusstsein und Präsentationsfähigkeiten vermitteln, die für bestimmte Positionen oder Branchen von Bedeutung sein können.

Vertrautheit und Transparenz fördern
Ein Bewerbungsfoto ermöglicht es Personalverantwortlichen, sich ein Bild von der Person hinter der Bewerbung zu machen und schafft eine gewisse Vertrautheit. Durch das Sehen des Gesichts des Bewerbers können Personalverantwortliche ein Gefühl von Nähe und Transparenz entwickeln, was dazu beitragen kann, von Anfang an eine positive Beziehung aufzubauen. Dies kann besonders in Branchen wichtig sein, in denen zwischenmenschliche Beziehungen, Kundenkontakt und Teamarbeit eine große Rolle spielen.

Kulturelle Normen und Branchenanforderungen
In einigen Kulturen und Branchen ist das Hinzufügen eines Fotos zur Bewerbung üblich und wird sogar erwartet. In bestimmten Branchen wie Mode, Schauspielerei oder in Berufen mit häufigem Kundenkontakt kann ein Foto ein wichtiger Bestandteil der Bewerbung sein, da das äußere Erscheinungsbild eine Rolle spielt.

Engagement und Interesse am Unternehmen
Ein weiteres Argument für das Einfügen eines Fotos ist, dass es den Bewerbern die Möglichkeit bietet, ihr Engagement und Interesse am Unternehmen zu zeigen. Wenn sich ein Bewerber bereits vor dem Vorstellungsgespräch intensiv mit dem Unternehmen auseinandersetzt und sich entsprechend für das Foto kleidet, wie es ein (zukünftiger) Mitarbeiter tun würde, zeigt das ein hohes Maß an Engagement und Interesse. Dies kann einen positiven Eindruck beim Personalverantwortlichen hinterlassen und dazu beitragen, eine Verbindung zwischen dem Bewerber und der Unternehmenskultur herzustellen.

Contra-Argumente gegen das Einfügen eines Fotos in Bewerbungen

Potenzielle Diskriminierung: Risiken von Vorurteilen und Vorverurteilungen
Personalverantwortliche könnten unbewusste Vorurteile gegenüber bestimmten Merkmalen haben, die auf dem Foto erkennbar sind, wie beispielsweise Alter, Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit oder äußeres Erscheinungsbild. Dies könnte zu einer zwar ungewollten, aber trotzdem voreingenommenen Bewertung führen, die nicht auf tatsächlichen Fähigkeiten und Qualifikationen beruht. Ohne Foto gibt es diese Gefahr nicht.

Zeitvorteil und fundierte Grundlagen-Entscheidung
Wir müssen uns im Klaren sein, dass ein Bewerbungsfoto bei der Entscheidungsfindung immer eine Rolle spielt. Das Unterbewusstsein neigt dazu, aufgrund äußerlicher Merkmale bestimmte Vorlieben oder Abneigungen zu entwickeln. Ob bewusst oder unbewusst, diese ersten Eindrücke können einen maßgeblichen Einfluss auf die Auswahlprozesse haben. Kann sich der Personalverantwortliche aber ausschließlich auf die Fakten und Qualifikationen eines Bewerbers konzentrieren, ermöglicht dies einen enormen Zeitvorteil. Ausbildungen und Erfahrungen können einfacher und objektiver verglichen werden als subjektive Eindrücke über das Foto. Somit können Entscheidungen auf einer fundierten Grundlage getroffen werden.

Fokus auf Kompetenzen und Qualifikationen statt auf Aussehen
Das Foto lenkt möglicherweise die Aufmerksamkeit von den wesentlichen Aspekten der Bewerbung ab, nämlich den Kompetenzen, Qualifikationen und beruflichen Erfahrungen des Bewerbers. Indem Personalverantwortliche ein Foto betrachten, könnten sie unbewusst dazu neigen, ihre Entscheidungen mehr auf äußerliche Merkmale als auf berufliche Eignung zu stützen, was zu einer weniger objektiven Bewertung führen könnte.

Internationale Perspektive: Unterschiedliche Standards in verschiedenen Ländern
In unterschiedlichen Ländern und Kulturen gelten unterschiedliche Standards und Erwartungen bezüglich des Fotos zur Bewerbung. Während es in einigen Ländern üblich ist, ein Foto beizufügen, wird dies in anderen als unangemessen angesehen (z.B. USA, Kanada). Das Fehlen eines Fotos in einer Bewerbung könnte daher in bestimmten Ländern als positiv angesehen werden, da es die Chancengleichheit fördern und die Gefahr von Diskriminierung verringern könnte.

Für uns als Personalberatung hat der Verzicht auf das Bewerbungsfoto manchmal einen ganz praktischen Grund. Wenn ein Kandidat kurzfristig in einen Recruiting-Prozess einsteigt, weil er unsere Ansprache interessant findet, spart uns der Verzicht auf das Foto Zeit. Einen visuellen Eindruck bekommen wir durch unsere Video-Interviews, die wir in jedem Fall im Vorfeld führen.

Alternativen und Kompromisse

Wie so oft, liegt die Lösung in der goldenen Mitte mit einer Prise Fingerspitzengefühl und einer Portion gesunder Menschenverstand.

Optionale Fotoeinreichung: Freiwilligkeit für Bewerber
Eine mögliche Alternative besteht darin, die Einreichung eines Fotos in der Bewerbung optional zu machen. Bewerber sollten die Freiheit haben, selbst zu entscheiden, ob sie ein Foto beifügen möchten oder nicht. Das funktioniert natürlich nur, wenn bei der Bewertung der Bewerbungen, das Vorliegen eines Fotos weder positiv noch negativ gewertet wird.

Portfolio-Links oder professionelle Online-Profile
Statt eines Fotos könnten Bewerber Links zu ihrem Online-Portfolio oder zu professionellen Online-Profilen wie LinkedIn beifügen. Auf diese Weise können Personalverantwortliche zusätzliche Informationen über die beruflichen Erfahrungen, Fähigkeiten und Qualifikationen der Bewerber erhalten, ohne sich auf äußerliche Merkmale zu konzentrieren.

Diese Alternative anzubieten ist ein guter Kompromiss, denn Bewerber sollten sich der Neugier von Personalverantwortlichen bewußt sein. Viele Personalverantwortliche recherchieren den Kandidaten im Internet. Durch die einfache Verbindung von Namen und Wohnort können Social-Media-Accounts schnell gefunden werden. Sollten dort unvorteilhafte Fotos veröffentlicht sein, könnte dies die Entscheidung bezüglich einer möglichen Einstellung negativ beeinflussen, was wiederum dafür spricht, ein professionelles Foto beizufügen.

Keine einfache Antwort auf eine einfache Frage

Die Frage, ob ein Foto in der Bewerbung verwendet werden sollte, ist komplex und kann je nach Branche, Position und Unternehmenskultur unterschiedlich beantwortet werden. Während ein Foto dazu beitragen kann, Persönlichkeit zu vermitteln und einen positiven ersten Eindruck zu hinterlassen, birgt es gleichzeitig das Risiko von Vorurteilen und Diskriminierung. Werden z.B. unvorteilhafte Fotos beigelegt, können solche Bewerber direkt „aussortiert“ werden, genauso beim Gegenteil, wenn besonders attraktive Menschen aufgrund ihres Aussehens bevorzugt werden (siehe auch NDR Beitrag: Attraktivitätsforschung: Bekommen schöne Menschen öfter einen Job?)

In jedem Fall ist es wichtig, die rechtlichen Grundlagen zu beachten und die potenziellen Auswirkungen des Hinzufügens eines Fotos in Bewerbungen zu berücksichtigen. Alternativen wie optionale Fotoeinreichung oder die Verwendung von Portfolio-Links können dazu beitragen, eine objektivere Bewertung der Bewerbungen zu ermöglichen.

Arbeitgeber sollten sich bewusst sein über mögliche Vorurteile und Diskriminierung und Maßnahmen ergreifen, um eine diskriminierungsfreie Rekrutierungsumgebung zu schaffen. Letztendlich sollte die Entscheidung, ein Foto in der Bewerbung zu verlangen, sorgfältig abgewogen werden.

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