Der Arbeitsmarkt der Zukunft

Eine kurze Reise durch die (Arbeits)Zeit

Es war einmal…

Wir beginnen unsere kurze Reise mit dem 19.Jahrhundert und somit in einer Zeit, in der es keine Trennung von Arbeits-Zeit und freier Zeit gab, wie wir es heute kennen. Vielmehr wurde das Leben der Menschen geprägt von den vier Jahreszeiten, insbesondere weil die meisten Menschen in der Landwirtschaft arbeiteten. Zeit für Pausen, Schlafen und Essen nahm man sich, wie es möglich war und es die Natur vorgab. Die Sonne regelte den Tag, das Aufstehen und Zubettgehen. Es gab daher mehr Arbeitszeit im Sommer als im Winter.

Generell war Zeit bzw. deren Aufteilung in Arbeits- und Freizeit, weit weniger wichtig. Arbeit und Leben fanden am gleichen Ort statt. Der Müller lebte und arbeitete in seiner Mühle, der Kaufmann über seinem Kontor oder der Schneider in der Werkstatt. Sie begannen mit ihrem Tagewerk wann immer der Tag begann. Dies war in Deutschland möglich, weil die landwirtschaftlichen Strukturen noch stark ausgeprägt waren.

Industrielle Revolution

In der Zeit der Industriellen Revolution, die um 1830 mit dem Bau von Bahntrassen erheblich an Fahrt auf nahm, wuchs nicht nur der technologische Fortschritt, auch die Großstädte wuchsen und mit ihnen die Zahl der Arbeitssuchenden. Es gab zu wenig Arbeit für zu viele Arbeiter.  Genau in dieser Zeit der Konkurrenz unter den Arbeitern konnten die Arbeitgeber in den Fabriken Arbeitszeiten von 14 bis 16 Stunden an sechs Tagen pro Woche durchsetzen. Der Arbeiter hatte keine Alternative, keine Lobby und damit keine Macht.

Zeit für Geschäftliches ist Arbeitszeit

Kleine Anekdote:  Tatsächlich gab es für geschäftliche Angelegenheiten sogenannte Scheißtage (hier unser Beitrag auf LinkedIn). So wurden in Süddeutschland und Österreich unter Knechten und Dienstboten die zusätzlichen 1 – 3 (unbezahlten) Arbeitstage bezeichnet, die sie während der Arbeitszeit auf der Toilette verbrachten. Sie mussten diese „Scheißtage“ nachholen, d.h. nach Ablauf des Dienstvertrages ableisten. Diese Praxis gab es im 18. und 19. Jahrhundert, vereinzelt sogar bis in das frühe 20. Jahrhundert. Heute verstehen wir unter diesem Begriff umgangssprachlich einen nicht ganz so gut gelaufenen Tag.

Gewerkschaften geben Arbeitern eine Stimme

In der Weimarer Republik kam es zur Anerkennung der Gewerkschaften als Vertreter der Arbeiter. Der Acht-Stunden-Tag bei vollem Lohnausgleich wurde eingeführt, Tarifverträge wurden verbindlich, die Kündigung von Arbeitern wurde erschwert und das Betriebsrätegesetz sorgte erstmals dafür, dass Gewerkschaften ein Mitspracherecht hatten. Die Arbeitgeber stimmten zu, um die Verstaatlichung der Fabriken zu verhindern. In den 1920er und 1930er Jahren wurden aufgrund von Ausnahmeregelungen wieder 10 Stundentage eingeführt bzw. während der Kriegsjahre wurden die meisten Arbeitszeitvorschriften außer Kraft gesetzt. Erst 1946 wurde der 8-Stundentag durch den Alliierten Kontrollrat wiederhergestellt.

Kampf für die 40-Stunden Woche

Das Wirtschaftswunder in den 1950er Jahren führt wieder zu steigenden Arbeitszeiten und mehr Überstunden und oft einer 6-Tage-Woche. Die Gewerkschaften, allen voran die DGB-Gewerkschaften, fordern wieder mehr freie Zeit für Hobby und Familie. Unvergessen der „Samstags gehört Vati mir!“ Slogan aus der Arbeitszeitkampagne für die Fünf-Tage-Woche mit 40 Arbeitsstunden (1955).

Hier können Sie sich den Original DGB-Werbespot ansehen – wirklich sehenswert.

 

Kampf für die 35-Stunden Woche

Rund 30 Jahre später ist es der Slogan „Mehr Zeit zum Leben, Lieben, Lachen“ der IG Metall, der zum längsten Streik bisher führte. Fast sieben Wochen lang streikten 1984 die Beschäftigten in der westdeutschen Metallindustrie – für die Verkürzung der Wochenarbeitszeit von 40 auf 35 Stunden. Die Arbeitgeber waren natürlich dagegen und machten mit „Keine Minute unter 40 Stunden“ eine klare Ansage. Eine soziale Machtprobe nahm ihren Lauf.

Der Streik begann am 14. Mai 1984. Rund 57 500 Beschäftigte in 23 Betrieben legen die Arbeit nieder (Videodokumentation) und versammeln sich vor den Werkstoren. Streiktage werden zu Streikfesten, bei denen Bands und Tanzgruppen aller Nationalitäten auftreten.

Nach der Aussperrung von über 500.000 Beschäftigten ohne Lohn, unzähligen Demonstrationen und Aktionen, folgt am 26. Juni 1984 schließlich die Einigung im Tarifkonflikt auf 38,5 Stunden als Kompromiss. Bis 1995 sinkt die Arbeitszeit schrittweise auf 35 Stunden.

Wie viel arbeiten die Deutschen denn nun?

In Deutschland regelt das Arbeitszeitgesetz von 1994, dass Mitarbeitende 8, in Ausnahmen 10 Stunden pro Tag arbeiten dürfen. Doch das Gesetz birgt zahlreiche Ausnahmen, wie z.B. im Schichtdienst oder der Bereitschaft wie bei den 24-Stunden-Diensten als angehender Arzt. Nicht zu vergessen, fallen Selbstständige ganz aus dem Raster.

Übrigens gibt es für Geistliche keinen Achtstundentag. Aber auch hier, findet ansatzweise Veränderung statt. Die Pfarrerinnen und Pfarrer der Evangelischen Kirche im Rheinland müssen künftig nicht mehr unbegrenzt arbeiten. Die Landesynode hat im Januar 2023 eine Arbeitszeitregelung für die etwa 1.500 Geistlichen beschlossen – für eine durchschnittliche Arbeitszeit (Vollzeit) von 41 Stunden pro Woche.

Und heute?

34,7 Stunden betrug die gewöhnliche Wochenarbeitszeit aller Erwerbstätigen. Bereinigt um den hohen Anteil an Teilzeitbeschäftigten, ergeben sich 40,4 Stunden pro Woche für Vollzeitbeschäftigte. Ein Wert, der sich in den letzten 10 Jahren kaum verändert hat.

Und in Zukunft?

30 Stunden Woche

Lt. der Zukunftsinstitut GmbH in Frankfurt am Main wird die 30-Stunden-Woche das neue Vollzeitäquivalent. Was in skandinavischen Ländern gelebt wird, findet auch in Deutschland immer mehr Beachtung. Arbeitszeit wird als flexibles Kontingent betrachtet werden, das sich individuellen Lebensphasen anpassen kann oder könnte. Die 30-Stunden-Woche als Vollzeitmodell kann produktiver machen und lässt Krankenstände schrumpfen.

Home Office

Nicht nur das Thema Arbeitszeit, auch der Ort der Arbeit wandelt sich. Besonders die herausfordende Pandemiezeit hat bewiesen: Remote Work ist möglich und ein wichtiger Bestandteil von New Work. Auch wenn viele Chefs im Hinblick auf Home Office unsicher und skeptisch in Hinblick auf die Produktivät waren, zeigten sich viele Vorteile. Remote Work erlaubt es, konzentriert dort zu arbeiten, wo man einen Teil seiner Freizeit verbringen möchte. Die Work-Life-Balance ist näher und machbar, auch wenn vieles sich jetzt bei einem Kompromiss und flexiblen Lösungen eingependelt hat.

Workation

In die gleiche Kerbe der Flexibilität schlägt die Workation. Bei ihr nehmen Angestellte die Arbeit mit auf eine Reise und verbinden den Aufenthalt an einem besonderen Ort mit ihren Aufgaben. Es zeigt sich, dass das Vertrauen darauf, dass Freiheiten genutzt, aber nicht ausgenutzt werden, die Motivation fördert, was wiederum den Unternehmen zugute kommt. Nicht nur die Generation Z legt Wert auf flexible Arbeitszeit und -ort-Modelle. Die Arbeitgebermarke wird umso attraktiver, je individueller die Gestaltung der Arbeit ist.

Viertagewoche

Lt. IW-Studie aus 2023, für die fast 5000 Beschäftigte in Voll- und Teilzeit zwischen 18 und 65 Jahren befragt wurden, würden fast ein Drittel der Vollzeitbeschäftigten ihre Arbeitszeit gern auf weniger Tage verteilen, also ihre 40 Stunden an 4 Tage ableisten.

Schon 2022 sagten, laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der HDI-Versicherung, drei von vier Arbeitnehmenden, dass sie die Einführung der Vier-Tage-Woche an ihrem Arbeitsplatz begrüßen würden. Fast zwei Drittel befürworten die Vier-Tage-Woche nur bei vollem Lohnausgleich – rund 14 Prozent der Befragten auch ohne.

Die Umfrage zeigte auch: Junge Berufstätige interessieren sich mehr für die Vier-Tage-Woche als ältere. Die Bereitschaft, dafür auch Gehaltseinbußen hinzunehmen, ist je nach Alter, Geschlecht, Berufsgruppe unterschiedlich stark ausgeprägt.

Persönlicher Ausblick und Fazit

Die historische Reise von der Arbeitszeitrevolution des 19. Jahrhunderts bis hin zu den modernen Arbeitsplatzansätzen des 21. Jahrhunderts verdeutlicht, wie Arbeitszeitgestaltung und -kultur ständig im Wandel begriffen sind.

Unternehmen erkennen, dass Mitarbeitende produktiver und kreativer sind, wenn sie die Freiheit haben, ihre Arbeit nach ihren individuellen Präferenzen zu gestalten. Die Ideen von New Work gehen über die bloße Flexibilisierung der Arbeitszeit hinaus. Sie betonen die Bedeutung von Selbstbestimmung, Sinnhaftigkeit, Partizipation und einer positiven Arbeitskultur. Diese neuen Ansätze könnten nicht nur die Motivation und Zufriedenheit der Mitarbeiter steigern, sondern auch die Innovationskraft der Unternehmen fördern.

Ich bin zuversichtlich, dass Arbeitnehmende und Arbeitgeber gemeinsam Lösungen finden werden, die die beiderseitigen Ansprüche auf harmonische Weise miteinander vereinen. Dieser kooperative Ansatz wird dazu beitragen, eine Arbeitsumgebung zu schaffen, die individuelle Bedürfnisse respektiert, Innovation fördert, Arbeitsplätze sichert und eine gesunde Work-Life-Balance unterstützt.


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