Warum Anerkennung zählt – und warum Frauen sie oft nicht bekommen
Ohne Sichtbarkeit keine Anerkennung
Als Personalberaterin erlebe ich immer wieder, wie entscheidend Sichtbarkeit und Anerkennung für die berufliche Entwicklung sind. Wer nicht gesehen wird, hat oft das Nachsehen. Das gilt nicht nur für Bewerbungen, sondern auch für wissenschaftliche Karrieren. Oftmals sind Frauen in der Forschung davon besonders betroffen. Um hier Aufmerksamkeit für diese Frauen zu schaffen und auch zu verdeutlichen, dass es mehr Frauen gab und gibt, die wegbereitende oder bahnbrechende Forschungen und Entdeckungen verantworten, starteten wir vor mehr als einem Jahr auf LinkedIn die Serie „Women in Science“.
Women in Science
Regelmäßig werden wir auf LinkedIn und zukünftig auch auf dem CONSIGEN Blog, Frauen in der Forschung vorstellen, ihre Leistungen würdigen, ihre Rolle verdeutlichen und sicherlich den ein oder anderen in meiner Community damit überraschen.
In diesem Blogbeitrag gehe ich der Frage nach, warum es für Frauen in der Wissenschaft immer noch schwierig ist, die gleiche Anerkennung und Aufmerksamkeit zu bekommen wie ihre männlichen Kollegen. Was sind die Ursachen? Warum wird die Leistung von Frauen oft nicht gesehen, absichtlich heruntergespielt oder anderen (männlichen) Personen zugeschrieben – abseits historischer Ursachen.
Matilda-Effekt
Ein Begriff, der genau dieses Phänomen beschreibt, ist der Matilda-Effekt. Er zeigt, wie Leistungen von Frauen systematisch unterschätzt oder anderen zugeschrieben werden. Doch was steckt genau dahinter – und wie unterscheidet er sich vom Matthäus-Effekt (dazu am Ende des Beitrages mehr)?
Was ist der Matilda-Effekt?
Der Matilda-Effekt (auch Mathilda-Effekt) bezeichnet ein Phänomen in der Wissenschaft, bei dem die Leistungen von Frauen systematisch unterbewertet oder anderen – meist männlichen – Kollegen zugeschrieben werden.
Geprägt wurde der Begriff 1993 von der Wissenschaftshistorikerin Margaret W. Rossiter. Benannt wurde er nach Matilda Joslyn Gage, einer US-amerikanischen Frauenrechtlerin des 19. Jahrhunderts, die bereits auf diese Ungleichbehandlung aufmerksam machte.
Typische Merkmale des Matilda-Effekts:
- Frauen erhalten weniger Anerkennung für wissenschaftliche Entdeckungen.
- Publikationen von Frauen werden seltener zitiert.
- Nobelpreise und andere Auszeichnungen werden häufiger an Männer vergeben, auch wenn Frauen entscheidend beteiligt waren.
Der Matilda-Effekt macht uns deutlich, wie tief geschlechtsspezifische Ungleichheiten in der Wissenschaft verankert sind.
Geschichten, die es sich zu erzählen lohnt
Ich war überrascht und wurde zugleich ermutigt von den vielen Reaktionen auf LinkedIn zu unserer Serie „Women in Science“. Mir scheint, wir haben einen Nerv getroffen. Zwei Intentionen waren die Gründe für diese Serie: zum einen wollte ich Forscherinnen sichtbar machen, zum anderen trieb mich (wie so oft) meine wissenschaftliche Neugier an.
Bis dato kannte ich zwar einige Beispiele weiblicher Forscher, war aber während unserer Teamrecherche doch überrascht, wie viele Frauen in Forschung, Wissenschaft und Wirtschaft Herausragendes geleistet haben. Daher ist unsere Serie „Women in Science“ noch lange nicht zu Ende. Es gibt noch etliche spannende (Lebens)Geschichten zu erzählen. Folgen Sie uns gern hier auf dem Blog oder auf LinkedIn.
Warum gibt es den Matilda-Effekt – damals und heute?
Meiner Meinung nach liegen die Ursachen in gesellschaftlichen Strukturen, die über Jahrhunderte gewachsen sind. Klassischerweise war Wissenschaft lange Zeit ein männlich dominierter Bereich, zu dem Frauen kaum Zugang hatten. Selbst wenn sie hervorragende Arbeit leisteten, galt es oft als selbstverständlich, dass Männer die führende Rolle einnahmen.
In keinem anderen Bereich ist es zudem so schwierig, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen. Die Vereinbarkeit beider Welten ist für Frauen, angefangen bei den Universitäten und Hochschulen, eine Herausforderung und manches Mal eine zu hohe Hürde. Das kann dazu führen, dass vielversprechende Forscherinnen ihre akademische Laufbahn unterbrechen oder ganz aufgeben.
Auch wenn wir in 2025 leben, sich vieles verändert und auch verbessert hat, spielen bis heute mehrere Faktoren eine Rolle:
Netzwerke und Sichtbarkeit:
Männer sind häufiger in etablierten Netzwerken vertreten, in denen Forschungsergebnisse diskutiert und Karrieren gefördert werden.
Unbewusste Vorurteile:
Studien zeigen, dass dieselben Leistungen bei Frauen tendenziell weniger positiv bewertet werden – oft ohne böse Absicht, sondern aus unbewussten Denkmustern.
Traditionelle Rollenbilder:
Frauen wurden lange Zeit nicht als „führende Wissenschaftlerinnen“ wahrgenommen, was sich bis heute in subtilen Erwartungshaltungen widerspiegelt.
Strukturen, die lautes Auftreten belohnen:
Sichtbarkeit entsteht oft nicht durch die besten Ideen, sondern durch die lauteste Stimme im Raum. Wer sich selbst stark präsentiert, wird wahrgenommen – und das bevorzugt eher diejenigen, die sich in solchen Verhaltensmustern wohlfühlen.
Vereinbarkeit von Beruf und Familie:
Gerade in der Wissenschaft erfordert eine erfolgreiche Karriere oft maximale zeitliche Flexibilität, zahlreiche Veröffentlichungen und internationale Mobilität. Für viele Frauen wird das spätestens dann zur Herausforderung, wenn sie Kinder bekommen oder Angehörige pflegen.
Es geht mir bei diesem Thema nicht um Schuldzuweisung, sondern um das Bewusstsein für Strukturen, die bis heute wirken. Wer sie erkennt, kann aktiv daran arbeiten, faire Bedingungen zu schaffen.
Übrigens: Frauen sind im Bereich Forschung und Entwicklung (F&E) in Deutschland weiterhin deutlich unterrepräsentiert. Ihr Anteil erreichte 2021 nur 29,4 %. Das war einer der niedrigsten Werte in der EU-27. Noch niedriger war der Anteil nur in Ungarn (29,3 %) und Tschechien (27,1%). (Quelle: Statistisches Bundesamt)
Jetzt aber Bühne frei für zwei „Women in Science“ (von vielen)
Zukünftig werden wir einige der Beispiele auch auf unserem Blog veröffentlichen. Hier vorab zwei außergewöhnliche Frauen.
Margaret Burbidge (1919 – 2020)
Sie erklärte, wie Sterne Materie erschaffen – den Nobelpreis bekam ein anderer
Sterne erschaffen die Elemente und Margaret Burbidge (1919-2020) erklärte uns, wie. 1957 zeigte sie gemeinsam mit ihrem Team im berühmten B²FH-Papier, dass alles, was uns umgibt, in Sternen entsteht. Ein wissenschaftlicher Meilenstein.
Doch während ihre Forschung den Grundstein für die moderne Astrophysik legte, blieb ihr die höchste Auszeichnung verwehrt. Den Nobelpreis erhielt allein ihr Kollege William Fowler.
Margaret Burbidge kämpfte ihr Leben lang gegen Geschlechterdiskriminierung und für eine Wissenschaft ohne Barrieren.
Hier zum LinkedIn Beitrag
Katherine G. Johnson (1918 – 2020)
Eine Frau, die Männer in den Mond schoss
Katherine G. Johnson war das jüngste von vier Kindern afroamerikanischer Eltern und zeigte schon früh eine Begeisterung für Mathematik. Katherine war so begabt, dass sie mit 15 an die Uni durfte – und mit 18 Jahren ihren Einser-Bachelor in der Tasche hatte. Mithilfe eines Stipendiums konnte Katherine das College besuchen und erlangte in Mathematik und Französisch bald ihren Bachelor of Science mit Abschluss.
Sie ging 1953 an das Langley Research Center, um dort als einer von vielen „Computer in Röcken“ zu arbeiten und Karriere zu machen. Johnson stach bald unter ihren Kolleginnen heraus. Zusammen mit ihrem Kollegen Ted Skopinski schrieb Katherine „Determination of Azimuth Angle at Burnout for Placing a Satellite over a Selected Earth Position“, wobei sie als erste Frau als Mitautorin benannt wurde.
Katherine Johnson war während ihrer Zeit bei der NACA, dem Vorgänger der NASA, erfolgreich an vielen Raumfahrtprojekten beteiligt. Auch nach ihrer Pensionierung ermutigte sie Schüler und Studenten stets, ihren gewünschten Weg einzuschlagen.
Übrigens, in dem Film „Hidden Figures“ wurden ihr und ihren Kolleginnen ein Denkmal gesetzt.
Hier zum LinkedIn Beitrag.
Der Matthäus-Effekt
Der Matilda-Effekt ist nicht das einzige Phänomen, das Ungleichheiten in der Wissenschaft beschreibt. Ein ähnliches Prinzip betrifft die ungleiche Verteilung von Anerkennung, bekannt als Matthäus-Effekt. Er beschreibt ein Phänomen, bei dem bereits bekannte und anerkannte Wissenschaftler überproportional viel Anerkennung für ihre Arbeit erhalten, ganz unabhängig davon, wie groß ihr tatsächlicher Beitrag ist.
Der Begriff wurde vom Soziologen Robert K. Merton geprägt und bezieht sich auf ein biblisches Zitat aus dem Matthäus-Evangelium: „Denn wer hat, dem wird gegeben.“ In der Praxis bedeutet das: Je bekannter jemand ist, desto eher werden ihm neue Entdeckungen zugeschrieben, während weniger prominente Forscher trotz gleicher oder sogar größerer Leistung oft kaum Beachtung finden.
Vielleicht fragen Sie mal bei Gelegenheit im Bekanntenkreis nach berühmten Forschern, Wissenschaftlern oder Entdeckern. Sie werden höchstwahrscheinlich immer die gleichen Namen genannt bekommen, vornehmlich männliche möchte ich meinen. Ein Effekt, der sich selbst verstärkt, weil wir immer die gleichen Namen auch in den Medien gezeigt bekommen. Dem sollten wir mit Achtsamkeit und Offenheit begegnen. Auf jeden Fall können Sie zukünftig einige weibliche Personen benennen und damit den ein oder anderen verblüffen.
Tatsächlich hat sich aber auch etwas verändert
Das sich etwas geändert hat, zeigen nachfolgende Beispiele, die ich in meiner Recherche gefunden habe, sicherlich gibt es noch viele weitere:
Seit etwa 2005 gibt es erste systematische Verbesserungen um Geschlechtergerechtigkeit in der Wissenschaft zu etablierten:
2005 wurde die Athena SWAN Charter in Großbritannien eingeführt – ein Rahmenwerk zur Förderung von Gleichstellung in Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Erste Akkreditierungen folgten 2006. 2011 wurde ein Silber-Status für Forschungsabteilungen verpflichtend, die Fördermittel beantragen (z. B. vom National Institute for Health Research). 2015 erweiterte sich die Initiative auf geistes-, sozial- und wirtschaftswissenschaftliche Disziplinen.
2010 startete in Deutschland AcademiaNet, eine Plattform zur Sichtbarmachung hervorragend qualifizierter Wissenschaftlerinnen. Initiiert von der Robert Bosch Stiftung, sollte sie als Anlaufstelle für akademische Gremien, Vortragseinladungen oder Expertensuche dienen – und damit gezielt Sichtbarkeit schaffen. Ab September 2025 wird AcademiaNet im Bosch Alumni Network fortbestehen.
Eine in 2021 veröffentlichte groß angelegte bibliometrische Analyse (Cornell University, 2021) belegt eine Zunahme des Anteils weiblicher Nachwuchsforschender. Zwischen 2000 und etwa 2018 wuchs der Anteil an Frauen, die erstmals veröffentlichen, von rund 33 % auf ungefähr 40 %
Diese Entwicklungen motivieren und ermutigen, gleichzeitig ist es mir ein Anliegen, nicht ins Gegenteil abzudriften. Wir müssen als Gesellschaft aufpassen, dass wir eine Ungerechtigkeit gegenüber Frauen nicht mit einer Ungerechtigkeit gegenüber Männer ablösen.
Was bedeutet das für (Ihr) Unternehmen?
Auch wenn dieses Phänom aus der Wissenschaft stammt, finden wir ähnliche Mechanismen branchenübergreifend in Unternehmen wieder: Wer sichtbar ist, wird schneller befördert, erhält mehr Verantwortung und wird häufiger empfohlen. Frauen (bzw. ebenso Menschen aus unterrepräsentierten Gruppen) sind davon nachweislich benachteiligt.
Deshalb ist es wichtig, Strukturen zu schaffen, die Leistung objektiv bewerten, und gleichzeitig Frauen aktiv zu fördern. Talent und Leistung dürfen nicht unsichtbar bleiben.
Wenn Sie an Ihr eigenes Unternehmen denken: Wie oft stellen Sie Ihre Prozesse auf den Prüfstand? Wer wird gelobt, wer wird zitiert, wer wird in Präsentationen genannt?
Filmtipp
Hidden Figures – US-amerikanische Filmbiografie aus dem Jahr 2017
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