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Ist Kündigung ansteckend? Wie sich Kündigungen im Team ausbreiten (können)

Was ist Fluktuations-Ansteckung?

Fluktuations-Ansteckung ist ein Phänomen, das auftreten kann, wenn die Kündigung eines Mitarbeitenden andere Kollegen zu der Entscheidung bringt, das Unternehmen zu verlassen. Dieses bisher wenig erforschte Verhalten hat erhebliche Auswirkungen auf die Mitarbeiterbindung und den Fachkräftemangel in Organisationen. Die Kündigung eines einzelnen, beliebten Mitarbeitenden kann eine Kettenreaktion auslösen, bei der weitere Abgänge innerhalb des Teams folgen.

Caitlin Porter und James Rigby des kanadischen Unternehmens Visier, spezialisiert auf Personalanalyse, haben dieses Phänomen in einer global angelegten Forschungsstudie untersucht. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass der „Dominoeffekt“ hauptsächlich in kleineren Teams zu beobachten ist. In solchen Teams ist die Wahrscheinlichkeit, dass Mitarbeitende ihre Anstellung aufgeben, um mehr als 12 Prozent höher, nachdem ein sympathisches Teammitglied zuvor die Organisation verlassen hat.

Die Forschung zeigte, dass Mitarbeitende, die Zeugen der Kündigung eines Kollegen werden, anfangen, ihre eigene Position im Unternehmen zu hinterfragen und sich nach externen Beschäftigungsmöglichkeiten umschauen. Dies kann aus verschiedenen Gründen geschehen, sei es aus persönlichen, beruflichen oder wirtschaftlichen Überlegungen.

Ansteckungs-Effekt nicht unterschätzen

Organisationen unterschätzen, wie stark sich die Kündigung eines Einzelnen auf die Entscheidungen anderer Mitarbeitenden auswirken kann. Dieses Phänomen kann dazu beitragen, den bereits bestehenden Fachkräftemangel zu verschärfen, wenn mehrere Mitarbeitende gleichzeitig die Organisation verlassen. Sie kann weitreichende Auswirkungen auf die Mitarbeiterbindung und die Leistungsfähigkeit eines Teams oder einer Abteilung haben. Unternehmen sollten daher Strategien entwickeln, um diesem Phänomen entgegenzuwirken und die Mitarbeiterbindung zu stärken.

Der Zeitraum der Ansteckungsgefahr

Die Fluktuations-Ansteckung ist nicht nur ein zeitlich begrenztes Phänomen. Wie lange der Effekt nach der Kündigung eines Mitarbeitenden anhält, zeigte die Untersuchung. Die Wirkung entfaltet sich bereits am Tag der Kündigung eines Teammitglieds. Allerdings wird der Effekt erst etwa 45 Tage nach der ursprünglichen Kündigung wahrscheinlicher. Etwa 70 Tage nach der ersten Kündigung erreicht der Ansteckungseffekt seinen Höhepunkt und beginnt sich etwa nach 135 Tagen, was rund viereinhalb Monaten entspricht, allmählich wieder abzuschwächen.

Die Erkenntnisse zum Zeitraum der Ansteckungsgefahr bieten Unternehmen eine wichtige Grundlage, um effektive Strategien zu entwickeln und die Mitarbeiterbindung in den kritischen Monaten nach einer Kündigung zu stärken. Es wurde deutlich, dass der Dominoeffekt nicht nur spontan auftritt, sondern über einen definierten Zeitraum hinweg seine größte Wirkung entfaltet.

Wie psychologische Mechanismen wirken

Die Fluktuations-Ansteckung ist ein komplexes Phänomen, das auf verschiedene psychologische Mechanismen zurückzuführen ist. Hier sind einige der wichtigsten psychologischen Faktoren, die dazu führen, dass Mitarbeitende aufgrund der Kündigungen ihrer Kollegen das Unternehmen verlassen:

Soziales Lernen nach Albert Bandura
Albert Bandura, kanadischer Psychologe (1925-2021) forschte zum sozialen Lernen (soziale Kognition) durch Beobachtung und Nachahmung. Wir Menschen neigen dazu, das Verhalten anderer zu imitieren, insbesondere wenn sie sehen, dass es sich lohnt, d.h. es dem Kollegen im neuen Job besser geht. Wenn er mehr verdient, bessere Entwicklungsmöglichkeiten hat und zufriedener ist, streben sie dasselbe an. Dieser Drang, sich an den Erfolgen anderer zu orientieren, treibt die Fluktuations-Ansteckung an. Wir sehen, dass Mut und Veränderungswille belohnt werden.

Furcht vor Veränderungen
Andererseit interpretiert unser Gehirn Veränderungen oft als Bedrohung und möchte dieser entkommen. Infolgedessen entscheiden sich Mitarbeitende möglicherweise, die Organisation zu verlassen. Lieber jetzt wechseln, bevor noch „Schlimmeres“ passiert.

Bruch des psychologischen Vertrags
Die Theorie des psychologischen Vertrags besagt, dass Mitarbeitende ein Gefühl der Zusammengehörigkeit innerhalb der Organisation erleben. Die Kündigung eines bei vielen beliebten Kollegen erschüttert dieses Gefühl nachhaltig. Die anderen zweifeln an ihrer eigenen Bindung zum Unternehmen. Sie ziehen in Erwägung, selbst zu kündigen.

FOMO (Fear Of Missing Out)
Menschen vergleichen sich ständig mit anderen (siehe Bandura) und ziehen Rückschlüsse aus deren Verhalten und ihren Entscheidungen. Die Kündigung eines Kollegen kann dazu führen, dass Mitarbeitende ihre berufliche Situation mit derjenigen ihres Kollegen vergleichen. Dies kann die Angst auslösen, etwas zu verpassen (FOMO), was sie dazu motiviert, die Organisation zu verlassen, um vermeintlich bessere Chancen zu verfolgen.

Diese und weitere psychologischen Faktoren sind tief verwurzelt in der menschlichen Natur und beeinflussen unser Verhalten. Indem Organisationen diese Faktoren berücksichtigen, können sie besser darauf reagieren und die Mitarbeiterbindung stärken.

Was Führungskräfte unternehmen können

Um die Auswirkungen der Fluktuations-Ansteckung zu mildern und die Mitarbeiterbindung in Unternehmen zu stärken, sind gezielte Maßnahmen erforderlich. Hier sind einige Handlungsempfehlungen, die Organisationen in Erwägung ziehen sollten:

Kommunikation und Unterstützung

Führungskräfte sollten nach einer Kündigung proaktiv auf ihre Teammitglieder zugehen. Offene Gespräche über die Auswirkungen der Kündigung eines beliebten Kollegen können dazu beitragen, potenzielle Frustrationen zu bewältigen, Fragen zu klären und Unsicherheiten gar nicht erst aufkommen zu lassen. Mitarbeitende sollten das Gefühl haben, dass ihre Anliegen und Gefühle ernst genommen werden.

Kontinuierliche Mitarbeiterbindung

Prävention ist immer der sinnvollste und effektivste Schutz. Organisationen sollten nicht erst reagieren, wenn es zu einer kritischen Situation kommt, sondern kontinuierlich an der Mitarbeiterbindung arbeiten. Dies kann durch gezielte Maßnahmen wie Mitarbeiterentwicklung, Karrierechancen, Work-Life-Balance und eine wertschätzende Unternehmenskultur erfolgen. Regelmäßige Feedbackgespräche und Gespräche über die Arbeitszufriedenheit sind essenziell. Eine gesunde Unternehmenskultur trägt dazu bei, die Loyalität zu stärken und Einflüssen von außen entgegenzuwirken.

Schulung der Führungskräfte

Um in diesen Situationen richtig zu reagieren, müssen Führungskräfte geschult werden. Nur so können sie die psychologischen Aspekte verstehen und angemessen reagieren. Sie erkennen frühzeitig die Anzeichen für Unzufriedenheit und können proaktiv agieren.

Frühzeitige Reaktion

Wenn ein Teammitglied gekündigt hat, sollten Führungskräfte frühzeitig Maßnahmen ergreifen, um den Dominoeffekt zu minimieren. Dies kann die Identifizierung potenziell gefährdeter Mitarbeitender und die Entwicklung individueller Lösungen umfassen.

Sicherheit vermitteln

Sprechen Sie die Situation und deren Konsequenzen an. Kommunizieren Sie klar und offen, wie die Verantwortlichkeiten nach dem Ausscheiden eines Kollegen neu aufgeteilt werden. Dies schafft Transparenz und Sicherheit innerhalb des Teams und verhindert eine inflationäre Gerüchteküche.

Achtsamkeit und Früherkennung

Als Arbeitgeber sollten Sie auf spezifische Anzeichen achten, die auf eine Kündigung hindeuten. Dazu gehört eine verringerte Produktivität, mangelnde Bereitschaft, sich auf langfristige Verpflichtungen einzulassen und ein allgemeiner Mangel an Engagement. Früherkennung ermöglicht es, rechtzeitig Maßnahmen zu ergreifen (siehe Quiet Firing).

Bleibegespräche führen

Gehen Sie aktiv auf qualifizierte Mitarbeitende zu, die erwägen, das Unternehmen zu verlassen. Führen Sie Gespräche, um zu verstehen, warum sie gehen möchten, und bieten Sie Anreize, um sie zum Bleiben zu überzeugen. Dies kann die Entscheidung beeinflussen.

Die Umsetzung dieser Handlungsempfehlungen kann dazu beitragen, die Stabilität des Teams zu bewahren, die Mitarbeiterbindung zu stärken und massenhafte Kündigungen zu verhindern.

Auswirkungen auf das Team

Vielleicht ist Ihnen in Ihrer Organisation oder Ihrer beruflichen Laufbahn der Effekt der Fluktuations-Ansteckung bereits begegnet. Auf jeden Fall zeigen die Ergebnisse der Studie sehr deutlich, dass die Mitarbeiterbindung und das soziale Gefüge in Unternehmen empfindlicher sind, als wir es vielleicht erwartet hätten. Die Auswirkungen einer Kündigung können von Reibereien über erhöhte Arbeitsbelastung bis hin zu weiteren Kündigungen reichen. In einer Zeit, in der der Fachkräftemangel die Herausforderungen für Unternehmen verschärft, sollten Unternehmen diese Thematik ernst nehmen.

Mein Appell an Personalverantwortliche und Führungskräfte: Seien Sie achtsam und proaktiv, wenn es Anzeichen für Fluktuations-Ansteckung gibt. Kommunizieren Sie in diesen eher unangenehmen Situationen offen und transparent und bieten Sie Lösungen an, um die Mitarbeiterbindung zu stärken oder zu halten. Regelmäßige Feedbackgespräche helfen Ihnen, frühzeitig die Zeichen zu erkennen.

Letztendlich ist die Fluktuations-Ansteckung ein Weckruf, um sich verstärkt um die Mitarbeiterbindung und das Wohlbefinden der Belegschaft zu kümmern. Unternehmen, die in dieser Hinsicht aktiv handeln, werden nicht nur diese Effekte minimieren, sondern auch langfristig ihre wertvollen Mitarbeitenden halten können.

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Quellen und zum Weiterlesen

Artikel in WIRTSCHAFTSPSYCHOLOGIE HEUTE
Vorsicht Ansteckungsgefahr: Eine Kündigung kommt selten allein

arbeits ABC
„Fluktuationsinfektion“: Sind Kündingen wirklich ansteckend

 


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